Koiroli hat geschrieben:
Hallo Ralf,
ich gebe dir bei allen Punkten recht, die du geschrieben hast.
Trotzdem finde ich es persönlich besser, wenn vom Züchter und Händler mit offenen Karten gespielt wird. Leider vergreifen sich heute schon viel zu viele an der Schönheitschirurgie beim Koi - möchte nicht wissen wie viele Koi auf den bekannten Ausstellungen dieser Welt schon unterm Messer lagen oder anderwertig "geschönt" wurden.
Das hat meiner Meinung auch nichts mehr mit artgerechter Tierhaltung, geschweige denn mit fairen Wettkampf zu tun. Wie so oft im Leben spielen hier Geld und Beziehungen eine größere Rolle, als das Lebewesen an und für sich!
lg
Roland
Hallo Roland,
zunächst möchte ich vorweg schieben, dass ich solche Praktiken nicht verharmlosen möchte.
Aber ich habe da gemischte Gefühle und kann die Züchter auch sehr gut verstehen.
Wer würde denn beim Verkauf seines gebrauchten Autos eine professionelle Aufbereitung ablehnen, wenn er im Anschluß einen deutlichen Mehrpreis beim Verkauf erlösen kann??? Oder wer versteht nicht den Fernsehhändler, der die HD-Programme mit bester Bild-und Empfangsqualität nur auf den teuren Geräten laufen lässt und auf den billigen Geräten nur das Zimmerantennensignal?
Und nichts anderes ist ein solcher Eingriff beim Koi.
Man muss sich einfach mal ein nacktes Beispiel vorstellen: Ein Züchter hat einen nahezu perfekten Shiro Utsuri. Körper, Farb- und Hautqualtät sind allerhöchstes Niveau und das gesamte Potenzial ist das eines Grand Champions. Jetzt hat dieser Fisch leider zwei Schuppen mit Nibanhi und auch noch einen orangenen Fleck auf dem Kiemendeckel. Ohne diese beiden kleinen Makel könnte der Züchter einen 5stelligen Betrag für den Fisch erzielen. Jetzt kommen aber alle Händler und sagen, dass der Fisch ja zu Nibahnhi neigt und niemand will mehr als 2.000,-€ für den Fisch zahlen. Kann man jetzt wirklich dem Züchter einen Vorwurf machen, wenn er mit 10 Minuten Arbeit die kleinen "Mängel" am Fisch vorab beseitigt und den Kaufinteressenten seine Ware im bestmöglichen Zustand anbietet?
Hinzu kommt, dass für einen erfahrenen Züchter so ein Eingriff ein Klacks ist. Der Fisch wird gekeschert, kurz betäubt, dann werden die beiden Schuppen gezogen und dort eine kleine Wundversorgung gemacht. Am Kiemendeckel wird ein paar Mal mit dem Skalpel über den orangenen Fleck gekrazt und anschließend die Stelle noch mit Peroxyd und einer Wundversiegelung behandelt. Das ganze macht der Züchter dann an einem Tag noch mit 10 anderen Fischen und anschließend geht diese Bande in ein separates Becken auf Temperatur und vorbeugend wird noch ein Antibiotikum ins Becken gegeben. Der Fisch sieht eine Woche später wieder top fit aus und der Käufer merkt von der ganzen Sache nichts. Die ganze Aktion bringt dem Züchter anschließend einen mindestens 30% höheren Verkaufspreis
Für den Züchter ist das nahezu risikolos und die Chance seinen Gewinn deutlich zu steigern, ist also super hoch.
Denn auch Kohaku mit Shimi sind plötzlich nur noch die Hälfte dessen wert, als wenn sie keine Shimies haben. Also werden die Shimi runter geholt.
Oder das Tancho ist nicht gut genug platziert, zu groß oder nicht kreisrund. Also bieten einem die Händler nur die Hälfte oder ein Drittel des möglichen Preises eines "perfekten" Fisches. Na gut, dann machen wir den Fisch halt schnell so wie der Markt ihn haben will
Die Züchter sind halt auch alles nur Menschen, die von ihrer Arbeit leben müssen. Und bekanntlich ist einem das Hemd näher als der Rock
Das oben Geschriebene gilt dann halt auch für eine Show. Ohne den Shimi gewinnt der Fisch. Mit Shimi braucht man ihn erst gar nicht setzen.
Jetzt soll mir einer sagen, wenn es hierbei um richtig Ruhm und Renommee geht, dass er nicht genauso handeln würde. Erst Recht, wenn das eigene Geschäft und der Lebensunterhalt der Familie davon abhängt.
Und häufig sind es wirklich Eingriffe, die den Fisch nach einer Woche nicht mehr im geringsten beeinträchtigen und zum Teil auch schon vorher weniger stören, als uns eine kleine Erkältung. Ob das dann in der breiten Masse alles gut ist und in weit gerade mit solchen Maßnahmen (durch die vorbeugende AB-Gabe) auch Resistenzen gefördert werden, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Aber entscheidend ist dabei halt auch, dass die Züchter schon wissen was sie tun. Man kann das nicht vergleichen, wenn ein ungebüter Hobbyist anfängt an seinem Kohaku oder Tancho rumzuschnitzen und der Fisch nach dicke Aufbrüche von entzündeten Wunden hat
Und eines sollte uns allen auch klar sein:
Wollen wir wirklich in unserem Hobby von artgerechter Haltung reden??? Ich denke, dass ist genauso scheinheilig wie für Tierrechte zu kämpfen bzw. zu spenden und abends das Schnitzel vom Discounter auf dem Teller zu haben
Wer mit gewissen Anspruch und Niveau Koi hältert weiß, dass wir hier nicht mehr von "artgerechter und naturnaher Karpfenhaltung" reden. Das fängt bei der Selektion und der (In-)Zucht an, geht über die zum Teil "badewannengroßen" Becken und Aquariumsfilter bis hin zur Art der Fütterung.
Aber das führt jetzt in eine Glaubensdiskussion.
Gruß
RALF