Hallo Stephan,
Geschichtsschreibung übernehmen üblicherweise die Sieger. Und diese offiziell verbreitete Version scheint ganz gut angekommen zu sein.
Vorab sei mir auch die Bemerkung gestattet, dass ich mir die DDR nicht wieder zurück wünsche. Es gab darin genügend Fehler, die ich im Übrigen schon damals ansprach. Doch ebenso deutlich hinterfrage ich auch heute die Dinge, die mir vorgesetzt werden. Zum Beispiel hier.
Stephan C. hat geschrieben:
Gunter, was denkst du denn wie lange dieses wackelige sozialistische Kartenhaus noch halbwegs gestanden hätte?
In dieser Frage steckt natürlich Einiges an Halbwahrheit. Beide Volkswirtschaften hatten einen Start, der nicht unterschiedlicher sein konnte. Während der Westen die Segnungen des Marshall-Planes genießen und Wirtschaftswunder feiern konnte, wurde von der DDR nahezu die komplette Reparationsleistung für den Krieg abverlangt, deren Folgen zum Teil noch heute nachwirken. Weiterhin war die DDR permanent einem
Braindrain aus der Bundesrepublik ausgesetzt. So, wie es heute gegenüber den osteuropäischen Staaten und neuerdings gegenüber Syrien gemacht wird.
Mach also bitte nicht den Fehler und führe die unterschiedliche Wirtschaftsleistung auf Systemunterschiede zurück!
Die DDR hätte im weltweiten Wirtschaftssystem eine Chance gehabt, wenn sie erstmal weiterhin als Billiglohnland verlängerte Werkbank der westlichen Staaten geblieben wäre. Der wirtschaftliche Kollaps wurde erst mit der Währungsunion und der damit verbundenen Währungsaufwertung hervorgerufen. (Der Wechselkurs wurde über Nacht von ca. 1:5 auf 1:2 korrigiert! Man erinnere sich daran, welche Auswirkung es hatte, als kürzlich der Franken um einige Prozente teurer wurde!) Welche Volkswirtschaft wäre in der Lage, den Schock einer solchen Währungsaufwertung zu verkraften? Die DDR-Volkswirtschaft war dazu nicht in der Lage.
Stephan C. hat geschrieben:
die DDR war faktisch pleite.
Zu keinem Zeitpunkt, in dem ich die DDR erlebte, hatte ich Hunger oder Mangel zu erleiden. Zu dieser Zeit war ich begeisterter Fleischesser und konnte das noch in vollen Zügen genießen, ohne von der Waage bestraft zu werden. Der Mangel bestand vor allem bei Wohnraum und bei privaten PKWs (wurde damals durch anständigen ÖPNV einigermaßen ausgeglichen.).
Aus den Medienberichten weißt Du sicherlich noch, das im Herbst 1989 ein erhöhter überplanmäßiger Bedarf an Kerzen bestand. Hast Du jemals irgendeinen Bericht gehört oder gelesen, dass in der DDR Kerzen knapp geworden sind? Das wäre ganz sicher thematisiert, politische Motive hinterfragt worden.
Ende 1989 kam ein enormer Reiseverkehr auf. An den Tankstellen gab es quasi Tag und Nacht Schlangen. Ist Dir irgendwann einmal zu Ohren gekommen, dass Benzin knapp war?
Stephan C. hat geschrieben:
Rente, Grundversorgung usw. , wie u. wovon denn bitte , die DDR war faktisch pleite. Und das heute die Rentenkassen nicht mehr so pralle sind , woran liegt das denn bitte, schon vergessen??
Nö, ich habe nicht vergessen, wie es war.
Zu DDR-Zeiten waren Kinder weder für die Familienkasse und erst recht nicht für Karrierepläne ein Hindernis. Es gab ein flächendeckendes Netz von ganztags geöffneten Kindereinrichtungen. Folglich konnten sich Familien relativ unbeschwert für so viel Kindersegen entscheiden, wie ihnen beliebte.
Vergleicht man die Jahre 1989 und 1991, so ist festzustellen, dass sich die Geburtenrate den bundesdeutschen Verhältnissen angepasst hat und auf 46% von 1989 absank. Das, was hierzulande beschönigend als "Demografischer Wandel" bezeichnet wird, ist ein Problem der Bundesrepublik, welches in der DDR in dieser Form wohl nicht aufgetreten wäre. Da wären in der DDR wesentlich mehr Leute im arbeitsfähigen Alter da gewesen, die jeweils einen Rentner zu versorgen haben.
Stephan C. hat geschrieben:
Ganz zu schweigen davon , das du dich bei linienuntreue bei Vollpension in Bautzen häuslich einrichten durftest.
Meinst Du etwa, ich wäre linientreu gewesen? Ich denke NEIN.
Ich habe es verweigert, der führenden Partei beizutreten und habe trotz Studium nur meine 543 Tage heruntergerissen. Im Studium, besonders wenn die Lehre vom Marxismus-Leninismus anstand, habe ich so manches Seminar geschmissen.
Zufällig war gerade "Karl-Marx-Jahr" angesagt. Und ich habe mir erlaubt, den praktizierten Sozialismus mit dem zu vergleichen, was das große Vorbild dazu geschrieben hatte. Die praktizierte Preispolitik der DDR stand an dieser Stelle heftig in der Kritik.
Oder ich habe dem Seminarleiter auch schon gesagt: "So weit, wie Sie das hier propagieren, sind wir erst, wenn uns der Westen die Mauer abkauft!"
Trotz alledem - nach Bautzen musste ich nicht, nicht mal in eine lokale Filiale davon.
Stephan C. hat geschrieben:
Wie würde es dir denn heute gehen? Hochteich mit Sichtfenster , da könntest du ebenfalls nen Haken dran machen , weil dir dafür wohl das nötige Equipment nicht so ohne weiteres zur Verfügung gestanden hätte.
Du hast richtig erkannt. Durch viele, zum Teil glückliche Umstände gehöre ich zu denjenigen, die am längeren Ende der Wurst Platz nehmen durften. Aber das ist sicher nicht repräsentativ. Ich würde Dich bitten, das nicht für die komplette Bevölkerung hier zu verallgemeinern. Die CDU-Landesregierungen hier haben Thüringen zu einem Billiglohnland gemacht. Tausende hatten einen Vollzeitjob, mussten aber trotzdem beim Amt aufstocken, weil der Lohn nicht ausreichte, den Lebensunterhalt zu bestreiten. "Blühende Landschaften" nannte das mal einer. Der inzwischen geltende Mindestlohn hat dieses Problem etwas gelindert.
Ja es war für mich viel persönliches Glück dabei. Wäre es nach meinem ersten Berufswunsch gegangen, so wäre ich in der Metallbranche gelandet. Dann wäre ich Opfer der De-Industrialisierung hier geworden und wir hätten uns mutmaßlich nie kennen gelernt.
Ja, in diesem Beitrag lag der Schwerpunkt auf einigen Vorzügen, die die DDR bot und die die Lückenmedien heute nicht so gerne thematisieren. Das heißt aber nicht, dass ich mit allen Dingen, die ich damals erlebt habe, so zufrieden war.
Pfiffikus,
der sich keinesfalls die DDR zurück wünschen will